Illustration: Claudia Löffelmann
Katja steht heute in einem Schulungsraum der Polizei. Vor ihr sitzen bekannte Gesichter. Frauen und Männer. Genau diejenigen, die letzte Woche in der Fußgängerzone gaffend um einen bewusstlosen Mann herum standen. Diejenigen, die nicht Platz machen wollten, als Sr. Katja hinzu eilte, um erste Hilfe zu leisten. Einige von ihnen hatten ihr Handy gezückt. Doch nicht, um den Notarzt zu rufen sondern um Fotos zu machen.
Nicht wissen, wie erste Hilfe geht, ist keine Entschuldigung für Untätigkeit
„Sie haben einem Menschen nicht geholfen, der Ihre Hilfe gebraucht hat.“ Sagt Katja. „Stattdessen standen Sie herum und haben sich an seinem Elend ergötzt“. Die Köpfe der vor ihr sitzenden sind auf den Boden gerichtet. Kleinlaut ruft einer: „Wie hätte ich denn helfen sollen? Ich bin doch kein Arzt…“
Wie würden Sie sich fühlen?
Katja hält ihnen vor Augen, was alles möglich ist – ohne medizinische Kenntnisse. Und sie schafft es, dass sich die meisten der Gaffer in die Lage des hilflosen Menschen hinein versetzen können. „Stellen Sie sich vor, Sie würden dort liegen. Ohne Möglichkeit, sich zu wehren wenn jemand Fotos von Ihnen macht. Ohne Aussicht auf Hilfe. Stellen Sie sich vor, es wäre ein naher Angehöriger von Ihnen! Wie würden Sie sich fühlen?“ Entsetzen in den Gesichtern.
„Nicht immer, wenn Gaffer Hilfe schlichtweg unterlassen haben, bin ich hier und rede mit ihnen. Dieses Mal war ich involviert und habe Ihr Verhalten miterlebt. Ich konnte es nicht fassen. Der Gesundheitszustand des Patienten ist inzwischen einigermaßen stabil. Noch einige Minuten länger und wir hätten nichts mehr machen können. Ich werfe Ihnen unterlassene Hilfeleistung vor.“
Wie Ihnen das Gaffer-sein nie wieder passiert
„Lassen Sie nie wieder zu, ein Gaffer zu sein! Ich biete Ihnen die Möglichkeit dazu. Jeden Mittwochabend ab19:00 Uhr unterrichten meine Kolleginnen und ich für unsere Gemeinde in erster Hilfe. Wir machen das ehrenamtlich. Sie haben die Chance, alles Wichtige so zu lernen, dass Sie es aus dem Effeff beherrschen. Dass Sie automatisch das erste Richtige tun, sobald Sie wieder einer Person begegnen, die erste Hilfe braucht. Sie bekommen die Chance, sich menschlich verhalten zu können. Wer das möchte, hier liegt der Anmeldebogen für unseren Erste-Hilfe-Kurs.“ Katja tritt zur Seite. Das Zusammentreffen ist beendet. Fast jeder der vormals gaffenden Passanten schreibt sich in die Liste ein. Eine Frau kommt noch einmal auf Katja zu. Leise sagt sie: „ich habe sämtliche Fotos, die ich von dem Geschehen gemacht habe, von meiner Kamera gelöscht. Es tut mir leid.“
Warum ist erste Hilfe nicht das Naheliegende, was Menschen in solcher Situation einfällt? Wie können wir die Schaulust, die in jedem von uns steckt, überwinden und sofort Maßnahmen ergreifen und die Rettungskräfte nicht behindern? Erste-Hilfe-Maßnahmen anwenden können, ist ein erster Schritt. Bei den meisten ist es zu lange her, dass sie einen solchen Kurs besucht haben. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen. Manch einer hat sich noch nie damit auseinander gesetzt. Wird Zeit, dass wir unsere Kenntnisse wieder auffrischen und so trainieren, dass wir sie im Schlaf beherrschen. Wünschenswert, wenn das bereits in den Schulunterricht fest integriert wird.
Bleiben Sie gesund! Ihre Petra Carlile