Geschichten aus der Online-Live-Performance
Wir alle, die beruflich Vorträge halten oder Workshops leiten, kennen die Grundregeln im ansprechenden Präsentieren. Nun haben wir unser Schaffen auf Online-Plattformen verlegt. Wir sind nach wie vor präsent, aber anders als vorher. Doch immer noch live und in Farbe. Dabei gibt es viele digitale Tricks, sich richtig in Szene zu setzen. Pompöse Hintergrundbilder lassen jeden Bühnenbildner erblassen. Klangvolle Hintergrundmusik gibt es mit ein paar Klicks, ohne ein ganzes Orchester ins Büro zu laden, bis es aus den Nähten platzt. Daheim in den eigenen vier Wänden mutet es heimelig an und bei manch einem von uns ist das Lampenfieber weniger fiebrig.
Was ist anders als vorher?
Stand ich vorher direkt vor einer Gruppe, bewegte ich mich. Ab und an lief ich vor meinen Zuhörern auf und ab, untermauerte mein Gesagtes durch entsprechende Mimik und Gestik und lud zur Interaktion ein.
Lade ich nun eine/n Teilnehmer/in mit einer Handbewegung interaktiv zum Gespräch ein, bekommt mein Gegenüber plötzlich eine riesige, unproportionale Patschehand ins Gesicht gestreckt. Also sitze ich vor der Webcam und bewege mich kaum noch hin und her. Und was vorher Beleuchter auf der Bühne kunstvoll in Szene setzten – oder retuschierten – braucht jetzt etwas aufwendige EDV-Technik. Die ich nicht habe. Echt? Sind meine Falten um die Augen sooo tief? Wieso sind meine Augenringe dermaßen dunkel? Dabei habe ich doch gut geschlafen und mich mit weiblichen Tricks (Make-up & Co.) restauriert. Hm…
Keine Outtakes, alles live
Profis bereiten sich vor. Auch wenn die Performance im eigenen Büro oder Wohnzimmer stattfindet. Doch geschehen ab und an Dinge, die nicht geplant sind. Wirklich nicht. Blöd, dass man diese nicht heraus schneiden oder noch einmal präsentieren kann. Keine Chance für „Szene fünf, Klappe die zweite oder dritte…„
Der fliegende Ring
Bei einem meiner Workshops, ich gestikulierte schon viel weniger als sonst, machte ich eine ‚typische Handbewegung‘. Schwungvoll beschrieb ich mit meiner Linken einen Halbkreis. Und genauso schwungvoll flog mir Großmutters locker sitzender Ring vom Finger. KLOCK!, krachte er gegen die Dachschräge. Gebannt folgte ich seiner Flugbahn. Und vergaß dabei für einen Moment, was ich gestikulierend untermauern wollte.
Uuuuund abwärts!
So langsam sollte ich es gelernt haben. Es ist Jahre her, da passierte es mir in einer 2er-Videokonferenz. Ich saß an meinem Schreibtisch. Und während ich mich in Begeisterung redete, krempelte ich meine Füße unter die Sitzfläche meines Bürostuhls. Und drückte dabei versehentlich mit dem Fuß gegen den Hebel für die Höhenverstellung. So schnell kann man eine hitzige, um ernste Themen rangelnde Diskussion in frohes Gelächter verwandeln! Aus Fehlern lernen wir ja. Meistens. Ich scheinbar nicht. Seit dem ist es mir jedes dritte Mal passiert. Egal ob bei privaten Chats oder geschäftlichen online-Meetings oder eben Workshops. Viele unterstellen mir Absicht. Weil ich meinen Sauser immer dann vollführe, wenn wir mitten in einer Auseinandersetzung stecken, wenn ich dramatisch Argumente der Überzeugung von mir gebe oder ich gerade jemanden am anderen Ende der Kamera ums Wort bitte.
Kommt ein Vogel geflogen
Lüften ist wichtig. Frische Luft muss sein. Auch während eines Workshops. Im Sommer bleiben die Dachfenster bei mir meist offen. Das eine links von mir im kleinen Bad, das andere rechts von mir neben meinem Schreibtisch. Ohne diesen Mini-Durchzug ist die Hitze unterm Dach kaum auszuhalten. Es sind Auszubildende am anderen Ende der Kamera. Das Thema: KUNDENORIENTIERT AM TELEFON.
Aus dem Bad dringen tschilp-Geräusche. Normal, weil unterm Giebel Spatzen nisten. Bei Fütterung geht es mächtig ab dort oben. Sie werden lauter. Und jetzt flattert es. Es flattert deutlicher. Und mitten in meiner Ausführung über Kunden, welche unsere ganze Aufmerksamkeit verdient haben, breche ich meinen Satz ab und folge dem Weg eines Spatzen, der durch mein Badezimmerfenster hinein flattert, kurz meinen stillgelegten Deckenventilator im Büro umkreist und über mir aus dem Bürofenster wieder hinaus flattert.
Schade nur, dass dieser vorwitzige Piepmatz nicht mal einen Moment durchs Bild meiner Kamera flog. Für meine Zuschauer wirkte es, als wäre mir ein Geist erschienen.
Es gibt Eventualitäten im Leben, auf die kann man sich beim besten Willen nicht vorbereiten.
Wir sehen uns beim nächsten Video-Chat . 🙂
Ihre Petra Carlile