Illustration: Claudia Löffelmann
„Na, dass ich Karriere mache, wird doch von mir erwartet!“ Emil ist mitten im Gespräch mit Oma Berta. Jeden Samstag freut er sich auf den Nachmittagstreff mit seiner Großmutter. Sie ist eine phantastische Zuhörerin und verfolgt den Werdegang ihres Enkels sehr genau. Emil steckt mitten im Studium und macht sich Gedanken, wie er im Anschluss am besten in den Beruf einsteigt.
„Ich suche gerade ein Unternehmen, das sich so richtig gut auf dem Lebenslauf macht. Schließlich ist es wichtig, dass man beim Start keine Fehler macht…“„Ah“ sagt Oma Berta. und „Wichtig für wen?“ schiebt sie noch hinterher. „Na für mich! Ich muss doch was darstellen können“, sagt Emil und nimmt sich noch ein Stück vom Pflaumenkuchen.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
„Mhm, verstehe. Und dass Dir die Arbeit Freude macht ist weniger wichtig?“
„… ähhh, wieso Freude?“ Unverständlich schaut Emil seine Oma an. „Muss man sich die ersten Jahre nicht durchbeißen? Alle sagen doch immer, Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Da hat doch Spaß nichts drin zu suchen.“ Berta lächelt in sich hinein. „Hab ich diesen selten dämlichen Spruch auch schon zitiert?“
„Nö, aber alle anderen tun es. Die Professoren in der Uni, damals die Lehrer in der Schule, Nachbar Heinrich sagt das dauernd und, naja, die Eltern auch. Siehst Du das anders, Oma?“
Hauptsache Geld verdienen?
Berta überlegt kurz. „Früher habe ich genauso gedacht wie viele. Und Dein Großvater Konrad auch. Lange haben wir beide in unseren Berufen gearbeitet, die uns eher mäßig begeisterten. Wir hatten an jedem Monatsende das Geld in der Tasche, das wir brauchten, glaubten das muss so sein weil es jedem anderen auch so ging und damit war es gut.
Auf zum Beruf, der Spaß macht!
Irgendwann, wir waren schon um die 50, begannen wir umzudenken. Mir wurde klar, dass ich nur als Rechtsanwaltsgehilfin gearbeitet habe, weil ich glaubte, meine Mutter würde das von mir erwarten. Und Dein Großvater hatte den immer gleichen Trott als damaliger Bahnbeamter richtig satt. Zwei weitere Jahre haben wir nur über unseren Berufsfrust weiter diskutiert und irgendwann haben wir uns getraut, Risiken einzugehen.
Wieso haben wir es nicht schon früher gemacht?
Ich begann als Museumsführerin für Schulklassen. Ich sage Dir, die schönste Berufszeit, die ich je hatte. Die Kinder hingen geradezu an meinen Lippen, wenn ich von den Biografien der alten Maler erzählte, wie womöglich ihre Bilder entstanden oder wenn ich sie in längst vergangene Zeiten des Mittelalters entführte. Und Dein Opa Konrad hat, wie Du weißt, sein Feinkostgeschäft eröffnet. Alle sagten damals, dass es dafür keine Kunden gäbe. Und doch kamen sie und blieben ihm treu. Sogar ein namhafter Starkoch war sein Stammkunde. Nach dem ersten Jahr unserer Berufswechsel haben wir uns gefragt, warum wir unsere Träume nicht schon von Anfang an umgesetzt haben.“ Oma Berta lehnt sich zurück und nippt an ihrer Kaffeetasse.
Angst, Selbstzweifel, Erwartung anderer sind die Bremsklötze
„Weil wir Angst hatten zu scheitern. Klar, jeder Schritt, den wir gehen, ist riskant. Manchmal erweist er sich als Fehler. Oft jedoch als goldrichtig. Beides weiß man erst hinterher. Und jetzt komme ich Dir auch mit einem viel zitierten Spruch mein Lieber: Wer nichts wagt, der nicht gewinnt…“
Was will ich wirklich? Wo kann ich meine berufliche Leidenschaft leben?
Emil schlingt das letzte Stück Pflaumenkuchen hinunter, gibt seiner Großmutter einen Kuss auf die Wange und macht sich zum Aufbruch bereit. Im Hinausgehen ruft er seiner Oma zu: „ich muss eine Bewerbung aus dem Papierkorb holen. Mich erwartet dort kein großartig klingender Stellen-Titel aber ich kann schon als Werkstudent eigene Projekte umsetzen. Bei einem Mittelständler. DANKE Oma, Du bist die Größte!“
Es lohnt sich, bei der Berufswahl andere nach deren Erfahrungen zu fragen. Trauen Sie sich! Auch wenn Sie keine Oma Berta haben, so sicherlich Kollegen, Alumni, Freunde, Bekannte. Oder den Feinkosthändler, den Sie persönlich (noch) gar nicht kennen.
Viel Mut wünscht Ihnen
Ihre Petra Carlile