Coaching besteht zu einem großen Teil darin, Klienten beim Finden eigener Lösungswege zu unterstützen.
Aufgrund meiner Berufs- und Lebenserfahrung verfüge ich sicherlich über einiges an Wissen, um eine ganze Latte an Ratschlägen zu einer To-do-Liste zusammen zu fassen. Doch eigene Ideen und Strategien setzen sich leichter um als von außen aufgedrückte. Es war nie zielführend, Ratsuchenden die Verantwortung für ihr Anliegen vollständig abzunehmen.
Als die Pferde mit mir durchgingen, weil meine Werte-Glocken Sturm läuteten
Doch bleiben bei meiner Arbeit die eigenen Werte und Ansichten nicht außen vor. Sie haben mich geprägt. Vollkommen hinterm Berg halte ich damit nicht. Kürzlich gingen regelrecht die Pferde mit mir durch.
„Dann bekomme ich stattdessen halt ein Kind“,
war die Aussage einer jungen Frau, die sich mit ihrer Suche nach einer sinnvollen beruflichen Tätigkeit an mich wandte. Wir hatten einige Zeit zusammen gearbeitet und herausgestellt, dass ihr Wunsch, ihrem Berufsleben Sinn und Nachhaltigkeit zu geben, nicht nur oberflächlich daher gesagt war. Jetzt befanden wir uns auf der Zielgeraden, was die Suche nach jenen Unternehmen betraf, die genau ihren Vorstellungen entsprachen. Ihr fehlte nur ein Quäntchen Mut, diese initiativ anzusprechen, und Selbstzweifel gewannen die Oberhand. „Was habe ich denn schon zu bieten? Da gibt es doch tausend andere, die es besser können.“ Nun, sie hatte eine Menge zu bieten! Das zeigte ihr Fähigkeitsprofil, das wir einige Stunden zuvor erarbeitet hatten. Ich holte dieses Profil hervor, um sie noch einmal eintauchen zu lassen, da meinte sie: „Ich habe schon mit meinem Freund gesprochen. Dann bekomme ich stattdessen halt ein Kind.“
Einundzwanzig – zweiundzwanzig – dreiundzwanzig…
Bei unseren vorherigen Gesprächen hatte sie klar gestellt, dass sie zwar in einigen Jahren eine Familie gründet, sich jetzt aber erst ihrem Traumberuf widmen möchte. Tiiief atmete ich ein. Und wieder aus. Und ja, ich begegnete ihr erneut mit einer Frage, wie es sich als Coach gehört. Doch war sie, sagen wir mal, mit meiner eigenen emotionalen Melodie unterlegt: „Welche unterschwellige Botschaft übertragen Sie auf Ihr Kind, wenn es auf die Welt kommt? Du bist der Ersatz für meinen Berufstraum?“
Kinder sind etwas Besonderes
Ja, Kinder erfüllen unser Leben. Mit Glück und Freude. Kinder sind so wichtig, dass sie NIEMALS Ersatz sein dürfen. Sie haben das Recht, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Idealerweise sind sie umgeben von Liebe und absoluter Zugewandtheit jener Menschen, denen sie vertrauen.
Angenommen, die junge Mutter arbeitet eines Tages wieder. In ihrem Job, aus dem sie einstmals raus wollte. Jetzt in Teilzeit, weil sie das Kleine mittags aus der Betreuung abholt. Und der gleiche Arbeitsfrust wie schon damals macht sich erneut breit. Ihre Fragen, wie: „Wo wäre ich jetzt, wenn ich es doch gewagt hätte, mein Wunschunternehmen anzusprechen? Was, wenn die mich genommen hätten? Wie glücklich wäre ich jetzt, sogar mit Kind?“, können sich unbewusst und dennoch spürbar auf ihr Kind auswirken. Negativ. ‚Die Mama ist unzufrieden. Scheint meinetwegen zu sein.‘
„Ersatzpaket oder Lückenfüller werden, hat ihr Kind nicht verdient. Egal wann es auf die Welt kommt!“, war meine Bewertung, die ich ungefragt, und Coaching-untypisch, äußerte.
Und das Ende der Geschichte?
Ich verstehe die Furcht vor Unbekanntem, die meine Klientin plagten. Die spukt manchmal laut in unseren Köpfen herum. Ja, verflixt, auch in meinem! Doch wer werden wir sein, wenn wir unserem Mut endlich eine Chance geben? Trotz nagender Ängste?
Wir vereinbarten einen neuen Termin. Ich bat meine Klientin, ihr Fähigkeitsprofil an den Badspiegel zu kleben. Und über die Kaffeemaschine. Und an allen weiteren Stellen ihrer Wohnung, die oft in ihrem Blickfeld waren. Ihre Aufgabe bis zum nächsten Mal war es, eine Initiativbewerbung zu formulieren anhand jener Kompetenzen, die sie auszeichneten und für ein künftiges Unternehmen gewinnbringend sind. Konkret formuliert mit ihren Wünschen und Vorstellungen an die ausgeschriebene Stelle.
Ihr Entwurf, den ich vorab per E-Mail erhielt, haute mich vom Hocker. Dieses Mal im positiven Sinne. Hatte sie doch genau ausgedrückt, was sie anstrebte, was sie sich wünschte, was sie mitbrachte und welchen Nutzen das Unternehmen hat. Konkret, peppig und ohne oberflächliche Standardfloskeln.
Danke fürs Tacheles reden
Start in den neuen Job war der erste Oktober. Im Abschlussgespräch, in dem wir unsere Zusammenarbeit reflektierten, kam ich auf meinen emotionalen Ausbruch zu sprechen. Ehe ich weiter reden konnte, meinte sie: „DANKE! Sie haben Tacheles geredet. Das macht nicht jeder und für mich war der Tritt in den Allerwertesten zielführend.“ Glück gehabt. Ich freute mich über ihren Mut, der ebenso mich inspirierte.
Haben wir den Mut, mutig zu sein!
Ihre Petra Carlile
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