Gleichberechtigung in der Arztpraxis – die männliche Arzthelferin

Petra Carlile
Coach für Personal und Karriere
Halligenplatz 4
81825 München

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Illustration: Claudia Löffelmann

„Sind Sie der neue Doktor?“ fragt Herr Volkmann, als er sich einen Termin in seiner orthopädischen Praxis holen möchte.„Nein Herr Volkmann. Ich bin medizinischer Fachangestellter. Ein männlicher Arzthelfer sozusagen.“ Herr Volkmann schaut verwundert. „Das ist doch ein Frauenberuf…“ Kopfschüttelnd nimmt er seinen Terminzettel vom Tresen und verlässt die Praxis. Verwundert erzählt Herr Volkmann es zu Hause seiner Frau. Und die ihrer Freundin. Und die in ihrem Buchclub.

Schubladendenken zum Vorteil nutzen

Eine Woche später hat sich ein Reporter des Lokalblattes in der Praxis angemeldet. Diese ungewöhnliche Tatsache der männlichen Arzthelferin hat sich herum gesprochen. Albert Ernst, der Reporter, spricht zunächst mit dem Arzt. „Nun arbeitet Kai Helfert schon seit einigen Monaten in Ihrer Praxis, Dr. Hinkel. Wird er nicht leicht für den Arzt gehalten? Ich gebe zu, wir Menschen denken ja in Schubladen und haben konkrete Rollenverteilungen.“ Dr. Hinkel nickt lächelnd und entgegnet: „dass Kai für den Arzt gehalten wird, ist tatsächlich ein Vorteil, den ich nach einiger Zeit sehr zu schätzen lernte.“ Ungläubig zieht Albert Ernst die Augenbrauen hoch, bis Dr. Hinkel erklärt: „Hin und wieder muss mein Team mit aufgebrachten Patienten umgehen. Wir haben nun mal lange Terminwartezeiten. Da geht manch einer schon an die Decke. Oft musste ich dann meine Behandlung unterbrechen, um meine Mitarbeiterinnen vorn am Empfang aus dieser unangenehmen Situation zu befreien. Kaum erschien ich dann vorn am Empfang, war Ruhe. Ich brauchte nie etwas sagen, musste niemanden besänftigen. Es reichte, wenn der Doktor präsent war. Seit Kai da ist, übernimmt er das und erscheint bei Konfrontationen und Verbalattacken gegen meine Mitarbeiterinnen plötzlich auf der Bildfläche. Und erzielt das gleiche Resultat als wäre ich hinzugekommen. Er braucht auch nichts zu sagen. Alle denken, er ist der Doktor. Das ist respekteinflößend genug. Und er beschützt somit seine Kolleginnen. Zudem brauche ich dann meine laufende Behandlung nicht zu unterbrechen.“„Dieser Vorteil leuchtet mir ein“, meint der Reporter. „Ist das der einzige?“

Patienten die Scham nehmen

Sr. Katja steigt ein. „Wissen Sie, Herr Ernst, gerade für unsere älteren männlichen Patienten ist Kai ein Geschenk. Viele haben auch in der heutigen Zeit noch ein übermäßiges Schamgefühl, wenn sie sich für eine Untersuchung entkleiden müssen. Ist Kai bei der Untersuchung dabei statt jemand von uns Frauen, werden diese Patienten lockerer. Das kommt der Behandlung zu Gute. Und dem Patienten.

Ja, und ich gebe zu, unser männlicher Kollege tut uns Frauen sehr gut. Kai kommuniziert anders als wir. Höflich und zuvorkommend, keine Frage. Aber direkt und zielführender. Wir Frauen reden doch mehr um den heißen Brei herum. Das kostet Zeit und Nerven. In diesem Punkt haben wir uns manches abschauen können. Umgekehrt konnte er sicherlich auch einiges von uns lernen.“ Mit einem Augenzwinkern verabschiedet sich Sr. Katja von Herrn Ernst. Die Arbeit ruft.

Der Reporter will wissen, warum sich Kai Helfert für die Arbeit einer Arzthelferin entschieden hat. Die Gründe, die Kai aufzählt, überraschen ihn.

Auch Männer wollen mehr Zeit mit der Familie verbringen und ihr Leben genießen

„Ich habe OP-Pfleger gelernt und lange Zeit in diesem Beruf im Krankenhaus gearbeitet. Die anstrengende Arbeit allein war nicht der Grund, warum ich mich beruflich umorientiert habe. Es kamen mehrere Faktoren zusammen. Ich habe nie mitbekommen, wie unser erstes Kind das Laufen lernte, sein erstes Wort sprach. Ich wusste nicht, wie ich meine Frau unterstützen konnte, weil sie alles daheim managt. Wirklich alles. Sogar die Termine in der Autowerkstatt. Dabei bin ich doch der Mann im Haus. Aber ich hatte einfach keine Zeit. Und war ich zu Hause, habe ich die meiste Zeit geschlafen. Weil Dienst in wechselnden Schichten enorm schlaucht. Als einer meiner älteren OP-Helfer-Kollegen mit 49 Jahren einen Herzinfarkt bekam, war für mich klar, dass sich für mich was ändern muss. Und glauben Sie mir: ich genieße es, abends beim gemeinsamen Abendessen zu Hause zu sein. Am Wochenende mit meinen Kindern herum zu toben. Und wieder mehr Zeit mit meiner Frau zu verbringen. Ein tolles Geschenk, das ich nie wieder hergebe! Ja, auch die Arbeit in einer Arztpraxis ist kein Spaziergang und ein sehr verantwortungsvoller Beruf. Aber er tut mir gut. Ich fühle mich wieder fit und gesund. Mein Fazit: Gleichberichtigung ist eine feine Sache. Auch in umgekehrter Richtung: wenn Mann einen typischen Frauenberuf ausüben darf.“

Hoffe, Schwester Kai macht Schule und wir finden bald noch mehr Männer in typischen Frauenberufen.

Ihre Petra Carlile

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