Manchen von uns lasten die eigenen Makel schwer auf den Schultern. Doch verleihen sie uns andererseits außergewöhnliche Fähigkeiten. Die vermeintliche Schwäche wird zu unserer größten Stärke und macht uns erfolgreich.
Wie sehr behindert eine Behinderung?
Milan, ein Gymnasiast, versuchte, mit meiner Hilfe herauszufinden, welcher Beruf für ihn passt. „Ich habe eine Hörbehinderung.“, erzählte er mir. Er trug Hörgeräte und verstand mich bestens. Wenn wir miteinander sprachen, war Milan mir voll und ganz zugewandt. Zweifellos seinem eingeschränkten Hörvermögen geschuldet. Doch empfand ich diese Aufmerksamkeit als großen Vorteil. Er nahm mich und die Umgebung in so hohem Maße wahr, wie es mir noch nie bei einem Menschen vorher auffiel.
Sein ganzes bisheriges Leben wurde ihm erzählt, welchen Beruf er eines Tages NICHT ergreifen kann. Nachdem ich ihm seine besondere Fähigkeit verdeutlichte, wagte er, größer zu träumen, als jemals zuvor. Der Wunsch, mit jungen Menschen zu arbeiten, rückte wieder in den Mittelpunkt. Sein Makel, die Behinderung, wurde zu einem Vorteil. Denn er ist in seiner heutigen Tätigkeit mit behinderten Jugendlichen deren Vertrauensperson Nummer eins. Niemand sonst schenkt ihnen mehr Aufmerksamkeit als Milan. Sie fühlen sich verstanden und nehmen seine motivierenden Ratschläge leichter an, weil er ihre Sorgen aus eigenen Erfahrungen besser versteht als jene Unterstützenden ohne Behinderung.
Scheitern. Ein Makel?
Schon mal ein Projekt mit Anlauf in den Sand gesetzt? Oder den Job vergeigt? Selbst, wenn alles korrekt umgesetzt wurde und nur das kleine Fitzelchen Glück fehlte? Das ist kein Einzelschicksal. Es spricht nur selten jemand über das eigene Scheitern. In unserer Gesellschaft ist es verpönt. Und doch gehört es zum Leben ebenso dazu wie unsere gefeierten Erfolge. Wenn uns das klar wird, wagen wir es, auch ohne Tarnkappe und Sonnenbrille wieder vor die Tür zu gehen und kehren in einen halbwegs aufrechten Gang zurück. Funktioniert der eine Weg nicht, ergibt sich immer ein besserer. Klingt wie ein platter Postkartenspruch. Doch ist er wahr. Wer schon einmal gescheitert ist, besitzt hilfreiche Erfahrungen, über die andere nicht verfügen. Jene, denen der Weg oftmals von anderer Hand geebnet wurde, wirken völlig verloren, wenn sie plötzlich auf sich allein gestellt sind. Wer das Scheitern selbst erfuhr, weiß, wie man Kräfte mobilisiert, die tief in uns vergraben scheinen. Wichtig ist nur, sich dem Versagens-Schicksal nicht zu ergeben, sondern aufzustehen und zu spüren, was sonst noch möglich ist. Sich zu motivieren, nach neuen Wegen zu suchen und wieder neugierig zu sein. Ja, genau, das ist die Sache mit: hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen. Diesen Spruch verkneife ich mir jetzt.
Kintsugi – jetzt viel schöner!
In Japan entstand vor langer Zeit die Methode, zerbrochene Keramik auf einzigartige Weise zu reparieren. Dabei werden die Brüche zwischen den Scherben nicht verborgen, sondern in den Vordergrund gestellt. Das Geheimnis sind die im Reparaturlack enthaltenen Gold- oder Silberpigmente. Die einstmaligen Risse werden somit betont und das vorher zerstörte Stück zu etwas besonders Schönem verwandelt. Es entsteht ein Unikat.
Auch ich bin nicht mehr vollkommen. Mir wurde ein kleiner Behinderungsgrad bescheinigt. Ebenso bin ich in meinen fast fünfzig Lebensjahren immer wieder einmal mit Anlauf gegen eine Wand gerannt, habe mir das Gesicht zerschrammt und bin dermaßen gescheitert, das geht auf keine Kuhhaut! Der Selbstmitleidsumpf, in dem ich oft sehr tief steckte, war nie eine Hilfe. NIE! Mich auf das konzentrieren, was mich besonders macht, allerdings schon. Dass es nach Rückschlägen aufwärts geht, ist kein platter Spruch von mir. Solch Rückschläge bereichern meinen Erfahrungsschatz, aus dem andere schöpfen.
Vielleicht hilft Ihnen der Blick auf die Kintsugi-Unikate, die vorher ein normales Stück Keramik unter vielen waren. Und deren Schönheit nach dem Zerbrechen große Bewunderung findet.
Ihre Petra Carlile
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