Informationen über Patienten sind für andere Ohren tabu
Mit Schulterschmerzen sitzt Otto Homann im Wartebereich einer chirurgisch-orthopädischen Gemeinschaftspraxis. Die Ärzte hier sind Top-Spezialisten. Herr Homann hat schon viel Gutes über sie gehört und legt sein Vertrauen in deren Geschick.
Viele Patienten sitzen im Wartebereich. Weil es sommerlich heiß ist, steht die Tür vom Wartezimmer zum Flur offen. Von dort hört Herr Homann ein Gespräch zweier OP-Schwestern mit, die gerade aus dem ambulanten Operationsbereich kommen. „Bei dem Gewicht ist das kein Wunder, dass Frau Meiers Knie total abgenutzt sind.“, sagt die Wally. Ihre Kollegin Monika entgegnet: „…ja, und dabei ist sie noch recht jung. Dass die Frau sich da nicht unter Kontrolle hat, was das Essen betrifft. Echt krass….“
Patientendaten schützen vor fremden Augen
Peinlich berührt versucht Herr Homann, weg zu hören. Er ist noch nicht dran. Deshalb nutzt er die Wartezeit und sucht rasch das WC auf. Dazu muss er am Empfang vorbei. Und sieht auf dem Tresen noch seinen ausgefüllten Anamnese-Bogen liegen. Für jeden ersichtlich, der daran vorbei geht.
Herrn Homann wird’s mulmig. So unachtsam geht man hier mit persönlichen Daten und Problemen um? Worüber unterhalten sich die OP-Damen wohl, wenn ich mit meiner Schulter auf dem OP-Tisch liege?, überlegt er. Machen die sich vielleicht lustig über mich? So in der Art „…Der Alte, schau ihn sich einer an. Hat gemeint, er kann noch Tennis spielen wie ein 20jähriger. Dass Männer nicht akzeptieren können, wenn sie älter werden… Und welch außergewöhnliche Farbe seine Socken haben…“ So kreisen die Gedanken, bis Herr Homann aufgerufen wird.
Diskretion ist Vertrauenssache
Als er im Behandlungszimmer beim Arzt sitzt, ist er sich nicht mehr sicher, ob er sich in dieser Praxis behandeln lassen möchte. Dr. Redlich merkt, dass seinen Patienten etwas bedrückt. Zögerlich äußert Herr Homann seine Bedenken und die damit verbundenen Zweifel. Nicht an der Arbeit der Ärzte. Aber am Umgang mit seinen Daten.
Dr.Redlich versteht, was seinen Patienten bedrückt und ist ihm dankbar für sein ehrliches Feedback. Er nimmt diese Geschehnisse zum Anlass, die Verbesserung der Diskretion in einer kurzfristig angesetzten Praxisbesprechung auf den Tisch zu bringen. Gemeinsam entwirft das Praxis-Team einen Maßnahmenkatalog, der ab sofort umgesetzt wird:
- Alle Mitarbeiter sind sich einig, dass Diskretion oberstes Gebot bleibt.
- Über Patienten wird nicht gesprochen in Bereichen, die für andere Patienten zugänglich sind.
- Muss man sich über einen Patienten fachlich austauschen, geschieht das hinter verschlossenen Türen und ausschließlich respektvoll und wertfrei.
- Patientenanamnesebögen werden persönlich übergeben und vom Patienten auch wieder zurück genommen. Anschließend sofort in die Datenbank eingepflegt, der Bogen sofort abgeheftet.
- Außerdem werden Anamnesebögen in undurchsichtigen, stabilen Heftern transportiert.
- Am Empfang wird ein Diskretionsstreifen am Boden angebracht. Ähnlich wie in einer Bank. Nur schöner mit einem Blumenarrangement.
- Ein wenig länger wird es dauern, das Telefon vom Empfang komplett zu verbannen. Im Moment kann jeder, der am Empfang wartet, den geführten Telefonaten zuhören. Ob er will oder nicht. Künftig jedoch wird ein extra Raum dafür bereit gestellt. Die Räum- und Umbauarbeiten beginnen in 2 Wochen.
Dr. Redlich und sein Team sind sehr froh, dass Herr Homann mit der Sprache heraus gerückt ist. Vor lauter Routine und Scheuklappen war ihnen nicht klar, dass sie wichtige Grundsätze des Qualitätsmanagements in ihrer Praxis nicht mehr beachten. Verlieren sie doch so nach und nach das Vertrauen ihrer Patienten. Dank Herrn Homann bekamen sie den Blick von außen. Rechtzeitig. Und haben Otto Homann als Patienten behalten. Der sich übrigens gerade bestens von seiner Schulter-OP erholt und überlegt, ob er statt Tennis zu spielen künftig dem Golfsport nachgeht.
Alles Gute für Ihr Praxismanagement und weiterhin viel Erfolg in der Patientenorientierung!
Ihre Petra Carlile